Dienstag, 11. Dezember 2012

Planet Müller


Birte Müller lernte ich kennen, als sie noch in Hamburg bei Rüdiger Stoye Buchillustration studierte. Inzwischen hat sie über 20 Bildbücher veröffentlicht. Darunter so wunderschöne wie „Auf Wiedersehen, Oma“, so skurrile wie „Fritz Frosch“ und ein so persönliches und beeindruckendes wie „Planet Willi“. Das Buch, das die Geschichte ihres Sohnes Willi erzählt, der mit Down Syndrom zur Welt kam. Ein Buch, das ich Ihnen unbedingt ans Herz legen möchte.

Nun aber zu Birtes Favoriten, bzw. zu Willis Buchtipp, wie sie schreibt:

"Ich finde es furchtbar, wenn Lektoren in der Diskussion über Buchprojekte als Argumentation die Vorlieben ihrer eigenen Kinder nutzen. „Also seit ich selber ein Kind habe“ fangen die Sätze an und enden in der Regel damit, dass sie jetzt genau wissen, was Kinder mögen, nämlich Fröhliches, Niedliches, und natürlich angeblich immer gut Erkennbares und Bekanntes.

Ein absolutes Lieblingsbuch meiner Kindheit (welches allen dieser Eigenschaften widerspricht) war das „Apfelmännchen“ von Janosch. Wenn ich es meiner Tochter heute vorlese, kommen mir selber oft die Tränen, so traurig ist die Geschichte von dem Mann, der sich nichts mehr wünscht im Leben, als dass auch an seinem Baum einmal ein Apfel wachsen sollte. Die kompromisslosen und malerischen Bilder sind so beeindruckend - Perspektive spielt keine Rolle und wirklich nichts, aber auch gar nichts in ihnen ist niedlich. Doch heute erscheint mir die Geschichte nicht mehr so rund, wie ich sie als Kind vielleicht empfunden habe. Ich habe das Gefühl, dass sie enden müsste an der Stelle wo das Apfelmännchen tieftraurig vom Markt zurückgekehrt ist: verlacht und verspottet, mit seinem einen, riesengroßen Apfel, der ENDLICH an seinem Baum gewachsen war und den ihm niemand abkaufen wollte. Vielleicht saß auch Janosch damals eine Lektorin gegenüber die sagte, dass sie, seit sie selber Kinder hat, weiß, dass Geschichten immer glücklich enden müssten. Ich dachte, dass ich eine sehr lebhafte Erinnerung an dieses Buch hatte, aber als ich es neulich zum ersten mal vorlas, merkte ich, dass ich es genau nur bis an die Stelle erinnerte, bis zu der ich das Buch bis heute unschlagbar gut finde. Das Happy End hatte ich einfach vergessen.

Meine eigenen Kinder haben meinen Buchgeschmack nicht eigentlich verändert, auch wenn ich zugegebenermaßen für meine dreijährige Tochter Olivia das eine oder andere Buch mit Elfen oder Feen drin anschaffe. Bücher für meinen fünfjährigen Sohn Willi zu finden, ist da schon schwieriger. Der „normale“ Junge in seinem Alter müsste wohl Piratenbücher oder ähnliches mögen, aber Willi schmeißt mir so etwas schlichtweg an den Kopf. Willi hat einen sehr erlesenen Geschmack, pro Jahr gelingt es mir höchstens zwei bis drei neue Bücher einzuführen, welche dann aber geradezu exzessiv vorgelesen werden müssen. Tatsächlich könnte Willi als eine Art Bestselleragent fungieren, sind es doch z.B. die „Raupe Nimmersatt“ und „Vom kleinen Maulwurf, der wissen wollte, wer ihm auf den Kopf gemacht hat“, die zu seiner höchst minimalistischen Auswahl gehören. Aber auch der eine oder andere Jugendliteraturpreisträger war schon unter seinen Favoriten (allerdings ist auch von Nelson ein Buch dabei, das Plastikräder hat und eines von Xenos, das grässliche Musik macht, aber ich finde, das gilt beides nicht wirklich).


Das erste Buch überhaupt, an dem Willi Interesse hatte, war „Eins Zwei Drei Tier“ von Nadja Budde. Willi war damals knapp drei Jahre alt. Ich war mehr als glücklich mit seiner Wahl (ich liebe dieses Buch), auch wenn ich es zuerst recht erstaunlich fand, denn ich ging davon aus, dass Willi den Inhalt des Buches nicht verstand und wahrscheinlich auch mit dem Ablesen der meisten Bilder überfordert war. Es muss der geniale Rhythmus des Buches sein, der Willi in den Bann gezogen hat. Ich weiß nicht wie viele hundert Male ich das Buch vorgelesen habe und es ist mir kein einziges Mal auf die Nerven gegangen! Bald mussten wir es natürlich auch nicht mehr lesen - wir sprachen es auswendig. Willis kleine Schwester sagte es mit 1 ½ Jahren auswendig auf und in unserem Leben hatte es einen so festen Platz eingenommen, dass ich meinen Mann im Auto eigentlich nicht mehr fragen konnte: „Nach links?“ Ohne die Antwort zu bekommen „Nach rechts, verkehrt, Pferd!“ (Über den Witz mit dem Schakal, der bei „verkehrt“ auf dem Kopf steht, hat Willi übrigens erst zwei Jahre später angefangen zu lachen, das aber dann so maßlos, dass er die vorigen zwei Jahre, die er den Witz noch nicht verstanden hatte, schon locker nachgeholt hat.) 
Wir schafften „Flosse, Fell und Federbett“ von Nadja Budde an und Willi nahm es glücklicherweise in seinen erlauchten Kreis der tolerierten Bücher auf („Trauriger Tiger toastet Tomaten“und „Morgens früh um sechs, kommt die kleine Echs“ haben es leider bis jetzt nicht in seine Hall Of Fame geschafft). „Flosse, Fell und Federbett“ ist der endgültige Beweis dafür, dass ein Kind wahrscheinlich NICHTS von einem Buch verstehen muss, um es von Herzen zu lieben! Willi kennt definitiv die Worte„Motten“ und „trotten“ nicht, noch kann er sich meiner Meinung nach irgendetwas vorstellen unter „mit Schaben traben“ oder „mit Muscheln tuscheln“.



Der absolut perfekte Rhythmus der Reime, mit immer wieder wechselndem Tempo, in Kombination mit dem unvergleichlichen Charme und Witz der Bilder, machen dieses Buch zu Willis absolutem Einschlaf-Party-Buch! Willi kennt die meisten Tiere in dem Buch nicht und die, die er kennt, erkennt er vielleicht nicht einmal, aber das spielt keine Rolle! Ich finde ich habe wirklich großes Glück, mit Willis Geschmack, denn mit „Flosse, Fell und Federbett“ haben wir dasselbe Lieblingsbuch! Ohne mit der Wimper zu zucken lese ich es mit Vergnügen fünf Mal hintereinander vor und wenn wir dann zusammen mit den „Pfauen kauen“ und mit den „Forellen bellen“, dann amüsiere ich mich bestimmt fast so ausgiebig wie Willi. Nur gut, dass das Buch eine Pappe ist, denn sonst wären wir bestimmt schon beim zehnten Exemplar… mittlerweile wirkt das Buch wie laminiert, so viel Klebeband klebt über allen Seiten. Wir lieben dieses Buch so sehr, dass wir sogar mit „Eulen heulen bis früh um Acht. Oder etwa nicht? Dann lösch das Licht!“ Danke Nadia Budde für dieses tolle Buch!"

© Peter Hammer Verlag

Montag, 24. September 2012

Kathrin Schärer über ihr zweitliebstes Kinderbuch


Kathrin Schärer ist eine der erfolgreichsten (wenn nicht die erfolgreichste) Schweizer Kinderbuchillustratorinnen (einige ihrer Bücher hat sie auch selbst geschrieben, die meisten entstanden in Zusammenarbeit mit Lorenz Pauli). Ihr letzter großer Erfolg liegt nur wenige Monate zurück: da wurde sie für den Hans-Christian-Andersen-Preis nominiert. Vorher gab es u. a. eine Nominierung für den Deutschen Jugendliteraturpreis und 2011 den Schweizer Kinder- und Jugendmedienpreis. 

Und dort hieß es in der Laudatio treffend:
„...Kathrin Schärers mit Bleistift, Farbkreide und Aquarell detailreich ausgeführte Tiere sind anders. Sie haben menschliche Züge. Gut, das verlangt die Konvention. Aber bei Kathrin Schärer ist die auf Tiere applizierte menschliche Mimik und Gestik nie stereotyp; im Gegenteil, sie ist sogar besonders ausdrucksstark, ja regelrecht theatralisch, als stammten sie aus einem Handbuch für Tier-Schauspielkunde...“

Hier Kathrin Schärer über ihr Lieblingskinderbuch:

"Ich habe es bei Bilderbüchern wie mit Filmen, Musik, Bildern, Romanen: je nach Technik, Thema, Stimmung, Lebensphase, kann ich mich für ein Werk begeistern.
Wenn ich von Kindern nach meinem Lieblingsbilderbuch gefragt werde, nenne ich Ihren und Wolf Erlbruchs "Maulwurf". Da ich aber in ihrem blog keine Laudatio auf Ihr eigenes Buch halten kann (obschon es immer noch eines meiner allerliebsten ist!), weiche ich auf Gabrielle Vincent aus.
„La naissance de célestine“, Casterman und „Un jour, un chien“, Casterman (die deutsche ausgabe "Hundeleben" unter ihrem richtigen Namen Monique Martin im Sauerländer Verlag ist vergriffen).
Ich bewundere Gabrielle Vincents lockeren, frechen und unglaublich ausdrucksstarken Zeichenstrich.
„La naissance“ ist mit Feder und Pinsel gezeichnet, „Un jour, un chien“ mit Kreide oder Bleistift, beide braun gedruckt.



Egal welche Technik, Gabrielle Vincent fängt das Wesentliche ein, lässt vieles offen, was auch in düsteren Bildern eine wunderbare Leichtigkeit und Dynamik bewirkt.
Sie arbeitet sehr filmisch. Nimmt sich Zeit und Raum für Szenen, fährt „mit der Kamera“ langsam an die Figuren ran und erzeugt damit eine spannende Dramaturgie.
Sie schafft es, nur mittels Zeichenstrich Gefühle darzustellen, die einen berühren und sofort ins Buch eintauchen lassen. „La naissance“ mit sehr wenig Text, „un jour un chien“ ganz ohne Worte. In beiden Büchern lässt sie Tiere urmenschlichste Themen erzählen wie Vertrauen, jemanden umsorgen, Angst, Verlassensein.


Ihre beiden Figuren Ernest (ein grosser Bär) und Célestine (eine kleine Maus) eignen sich wunderbar für die Kinderbuchthemen Eltern/Kind, groß/klein.
Mich beeindruckt auch, wie sie Figuren und ihre Umgebung auf die Seite setzt. Oft deutet sie den Raum nur ganz leicht an, arbeitet einen Hintergrund nie ganz aus. Das verleiht ihren Zeichnungen den spontanen Skizzencharakter, den die meisten Bilderbuchschaffenden ansatzweise aus den eigenen Storyboards kennen und deren Lockerheit man dann im fertigen, farbig umgesetzten Buch nachtrauert. Gabrielle Vincent bewahrt sich diese bewegte Leichtigkeit, die ich so mag.
C'est ça."

Freitag, 20. Juli 2012

Sabine Wilharm, ist das nicht die, die Harry Potter… Richtig. Aber bei weitem nicht nur!


Ja, sie ist die Frau, die die Harry Potter-Bände illustrierte. Aber darüber hinaus auch jede Menge anderer schöner und erfolgreicher Kinder- und Jugendbücher, Bilderbücher, Erstleserbücher und Romane. Außerdem illustriert sie für Stern und Spiegel und hat eine beeindruckende Ausstellungsliste. 

"Eben ist mir eingefallen, ich möchte doch ein anderes Buch vorstellen.
Eigentlich sollte es 'Der Besuch vom kleinen Tod' von Kitty Crowther sein, das ich nun trotzdem schnell allen Lesern ans Herz lege, die die Neigung kennen, auch mit den unwahrscheinlichsten Formen des Seins Mitleid zu haben und schöne, eigenartige Zeichnungen zu genießen.

Ich habe mich anders entschieden, weil mir ein kleines Softcover-Buch aus dem Mami-Verlag wieder in die Hand kam und das stelle ich nun auch vor Sie hin, zeige mit dem Finger drauf und sage: Kaufen! 

Es ist 13x 18 cm gross und hat keinen extra Rücken, sondern in der Mitte geknickte Seiten, die mit Heftklammern zusammengehalten werden, so wie ich es als Kind gemacht habe, als Verlegerin von Einzelstücken. Aber es wirkt trotzdem kostbar und edel, das liegt an dem schönen, starken Papier, das man gern anfasst, und an dem intensiven Farbklang des Covers: ein kräftiges Rot mit Weiss und Hellgelb auf einem satten schwarzen Hintergrund - und das Bild, das darauf zu sehen ist, ist anziehend und geheimnisvoll.
'Die hollandische Schachtel' ist von Anke Feuchtenberger erzählt und gezeichnet und dann im Mami-Verlag herausgegeben (www.mamiverlag.de). Das ist ein kleiner Verlag, den sie selbst zusammen mit Stefano Ricci gegründet hat und der in unregelmässiger Folge sorgfältig gemachte Bücher im Kunst-Comicbereich herausgibt. 
Anke Feuchtenberger ist eine ganz und gar eigene, eigenartige und immer überraschende Zeichnerin und Erzählerin in diesem Grenzbereich zwischen freier Kunst und Comic, eine Künstlerin, die Moden schafft, nicht ihnen folgt. Sie hat deutlich spürbar einen starken inneren Grund für ihre Zeichnungen und folgt beim Arbeiten Fährten und Gesetzen, die zu rätselhaften, immer in einer Tiefe verankerten Erzählungen führen. Ich ziehe absolut den Hut vor ihr, falls das etwas bedeutet und wünschte, dass viele gute Augen ihre Bilder sehen und schätzen. 

Dieses Buch entwickelt aus einem fast nüchtern-spröden Anfang einen zarten, zähen Sog, dem ich mich auch nach mehrmaligem Lesen nicht entziehen kann. Es ist ein Hundebuch ohne Zucker, ohne Parabelgedanken (im Sinne von: das Tier steht für den Menschen und nun wird uns etwas gelernt) und ohne den Versuch, dem Leben eine uns gewohnte Dramaturgie aufzuzwingen. Das, was erzählt wird, sind Ausschnitte aus Yettes Leben und ich schlucke (zum Beispiel beim wichtigsten Ereignis) und lache (zum Beispiel beim nächtlichen Wandern von einem Korb in den anderen) und bin die ganze Zeit vollkommen glücklich und dann, wenn die letzte Seite kommt, wache ich widerwillig auf, weil das Buch zu Ende ist, aber die Geschichte doch weitergeht und ich mehr von dem haben möchte, das so eng am Leben erzählt ist, dass ich mit hineingeraten durfte. 

Kann man das so sagen? Wahrscheinlich nicht – ich merke eh die ganze Zeit, dass der Umgang mit Worten nicht mein Metier ist, denn ich kann das, was mich an dem Buch begeistert, nicht ausdrücken, es klingt immer falsch. 

Ich hoffe, die Bildbeispiele in diesem Text wecken Lust, das Buch kennenzulernen."

Donnerstag, 28. Juni 2012

Gerda Raidt über die suggestive Kraft von Bildern


Vor 4 Wochen hat Isabel Kreitz hier ihr Lieblingskinderbuch vorgestellt, jetzt wurde sie auf dem Comic-Salon Erlangen als beste deutschsprachige Comic-Künstlerin ausgezeichnet! Ganz herzlichen Glückwunsch! 

Frau Kreitz war es auch, die auf Gerda Raidt aufmerksam machte. Und zwar vor allem auf deren Buch „Die Straße“. Aber nicht nur. Isabel Kreitz: „Seit langem bin ich ein Fan von Gerda Raidts Arbeiten, besonders ihre Illustrationen von Irmgard Keuns "Das kunstseidene Mädchen" finde ich sehr gelungen! Völlig begeistert bin ich von ihrer Reihe "Fünf Hefte", in denen sie Schlagertexte der 40er Jahre illustriert hat. “

Obwohl das nicht gerade Kinderbücher sind, ist es Grund genug, hier Gerda Raidt zu Wort kommen zu lassen: „Ein gutes Buch klappt man auf und reist ganz woanders hin. Man sieht die Welt mit den Augen eines anderen, erlebt dessen Erlebnisse mit und trägt sie dann mitunter ein Leben lang in sich herum. In so ein schmales Bilderbuch passt eine ganze Welt. Und das alles 2D und ohne erforderliche technische Hilfsmittel.

Ich will mich hier aber auf einen Aspekt konzentrieren, der für mich gute Bücher zu Lieblingsbüchern werden lässt. Ich nenne es hier mal die suggestive Kraft von Bildern. Damit meine ich eine unbeschreibliche Beseeltheit, die aus ein paar hingeworfenen Strichen und Farbtupfern auf rätselhafte Weise eine kleine Welt entstehen lassen kann. Manchmal kann man diese Welt dann beinahe fühlen und riechen. Das ist für mich das Tolle und der eigentliche Zauber der Sache. Es gibt Bilderbücher, die sind derart eindringlich, dass man manchmal einen realen Moment erlebt und denkt "Jetzt ist es genauso wie in dem Buch."

Dieser Zauber lässt sich schwer erklären. Ob ein Bild diesen Sog entfaltet, ist jedenfalls absolut unabhängig vom Realismusgrad. Seele kann auch ein ganz flüchtiges oder gar unbeholfenes Machwerk besitzen. Aber auch ein solches, an dem lange und gewerkelt wurde. Lockerheit scheint mir auch keine unbedingte Voraussetzung zu sein.

Manchmal seh ich Bilder, die eigentlich nur auf andere Bilder verweisen. Etablierte Kürzel für, "Baum" oder "Blume" oder "Kuh", bloße Formeln, die letztlich nichts aussagen. Oder das Handwerkliche drängt sich sehr an die Oberfläche. Oder Darstellungsmoden. Manchmal aber, in Glücksfällen, tritt das Bild als Machwerk völlig in den Hintergrund. Man vergisst beinahe, dass es sich um ein Bild handelt und nimmt einfach teil an dem was der Zeichner uns mitteilt.

Was ist das Geheimnis? Ich denke, es ist die echte Empfindung die dahinter steht. Eine wirkliche Beobachtung, gesammelte Erfahrung, Herzenswärme, eine wirklich gelebte Emotion, vor allem wohl die Emotion, und der Wille, das dem Betrachter mitzuteilen, eine Geschichte zu erzählen. Unter Abschaltung möglichst aller Eitelkeit und aller Routine. Als Zeichner sitzt man also am Schreibtisch, aber innerlich befindet man sich auf der Sommerwiese, von der man erzählen will. Ist die Wiese nicht ehrlich empfunden, schimmert am Ende im Bild immer der Schreibtisch durch.


Einer meiner Lieblinge in diesem Sinne:




Alois Carigiet
Flurina und das Wildvöglein, Orell Füssli

In den Bildern dieses Buchs kann man richtig wohnen.
Klug ist auch die Struktur: die kleinen Vignetten illustrieren ganz direkt, was im Text erzählt wird, dann kommt das Ganze in einem großen Bild zur Ruhe. Eigentlich wie eine Filmsequenz.
Das Buch ist von 1952, was man den Bildern kaum anmerkt. Der gereimte Text wirkt auf mich leider etwas altbacken und ist mit seinem schweizer Zungenschlag für nördliche Ohren etwas zäh. Aber die Bilder wiegen alles auf. (Ich neige ein bisschen dazu, dem Text alles zu verzeihen, wenn die Bilder toll sind.)



Copyright © 1995 Orell Füssli Verlag AG, Zürich

Dienstag, 22. Mai 2012

Isabel Kreitz über den Favoriten Ihrer Kindheit und ihr aktuelles Lieblingskinderbuch.


Ist sie „Deutschlands beste Comiczeichnerin“, wie Die Woche schrieb? Sehr vieles spricht dafür. 
Z.B. wenn man auf die Preise schaut, die sie in den letzten Jahren gewann: Den 1. Deutschen Comicpreis als beste deutschsprachige Comic-Künstlerin auf dem Comic-Festival Hamburg, den Max-und-Moritz-Preis in der Kategorie "Beste deutschsprachige Comic-Publikationen für Kinder und Jugendliche" für Der 35. Mai – als Comic, auf dem Comic-Salon Erlangen. Den Sondermann-Preis in der Kategorie Comic-Eigenpublikation für Die Sache mit Sorge und den gleichen Preis noch einmal in der gleichen Kategorie für Haarmann.

Spannend zu erfahren, welches Kinderbuch diese fantastische Illustratorin, die u.a. den Stil von Walter Trier so wunderbar adaptiert, für das schönste hält:


"Der Zauberlehrling", illustriert von Tomi Ungerer, hat auf mich die stärksten Eindrücke hinterlassen. Um den Text, mit dem Barbara Hazen Goethes Zauberlehrling nacherzählt, habe ich mich seinerzeit wenig gekümmert, denn es wurde sehr selten vorgelesen. Ich kann mich aber gut daran erinnern, wie gern und ausdauernd ich die Bilder betrachtet habe, die so viele kleine Entdeckungen zuließen. Der Illustrator hat wunderbar wenig Rücksicht auf die kindliche Psyche genommen. Das Schloss des Zauberers ist voller geheimnisvoller Gewölbe und Öffnungen, in denen sich Monstren, Mumien und Mutationen tummeln. Schleimige Tentakeln baumeln über Brunnenränder oder ringeln sich aus dunklen Löchern, Ersatzgebiss und Zahnbürste des Zauberers liegen am Rand des großen Wasserbeckens, das der Zauberlehrling täglich auffüllen muss. Die Katastrophe entwickelt sich rasant, die Bilder werden zu Sequenzen, man möchte die Seiten immer schneller umblättern um zum "Show Down", der Rückkehr des Zauberers, zu kommen. Für die Texte bleibt da sowieso keine Zeit.

Ein aktuelles Kinderbuch, das auch bestens ohne Text auskommen würde, ist "Die Straße. Eine Bilderreise durch 100 Jahre" mit Illustrationen von Gerda Raidt.


Sieben Doppelseiten, auf denen der sich wandelnde, immer gleiche Ausschnitt einer Straße samt Querschnitt eines Hauses abgebildet ist. Die Idee ist nicht neu, die sich verändernde Landschaft bzw. Stadt gab es bereits 1973 und 1976 in den wunderbaren von Jörg Müller gestalteten Bilderbögen. In Gerda Raids Buch geht es allerdings nicht um Kritik am Fortschrittsglauben, der Zeitraum ist viel weiter gefasst, als bei Müller. Die Strasse erlebt bewegte Zeiten, u.a. zwei Weltkriege und eine Wiedervereinigung. Da hängt das Adolf Hitler Bild zunächst im Wohnzimmer, einen Bilderbogen später kann man es auf dem Dachboden wiederfinden und an der Wohnzimmer-Tapete leuchtet ein heller Fleck. Auch Stilgeschichtliches gibt es zu lernen. Die Ausstattung reicht von der dunkel gebeizten Schlafzimmergarnitur bis zum Billy Regal. Als Kind hätte mich dieses Buch fasziniert, als Erwachsene freue ich mich sehr darüber.“

1931

1945

1971 © Gerda Raidt

Montag, 9. April 2012

Lache, Bajazzo!


Einen meiner Lieblinge, den Bajazzo-Verlag, gibt es nicht mehr. Oder besser gesagt: Als eigenständiger Verlag unter der Leitung von Ingrid Rösli und Thomas Minssen ist er nicht mehr existent.

Aber – gute Nachricht – seine tollen Bücher leben weiter. Und zwar unter einem sehr renommierten Dach: dem von Beltz. Ich glaube schon, dass sie sich da wohl fühlen werden, die echten Kerle, oder die Maus, die was-auch-immer am Donnerstag macht, und der Löwe, der nicht schreiben konnte... Insgesamt 8 Nominierungen für den Deutschen Jugendliteraturpreis konnte das kongeniale Duo mit dem fantastischen Blick für gute Geschichten in 15 Jahren für ihren Verlag verbuchen. Umso spannender jetzt die Frage nach dem Lieblingsbuch.

Ingrid Rösli schrieb:
Mein Lieblingsbuch ist "Das Baumhaus" von Marije Tolman / Ronald Tolman.

Dieses Buch ohne Worte ist für mich eines der zärtlichsten, tröstlichsten Bilderbücher, die ich kenne. Kommt hinzu, dass ich absolut verrückt nach Bären bin. Besonders faszinierend: Die Bilder wurden zusammen von zwei Künstlern gestaltet, die "zufälligerweise" Vater und Tochter sind und offenbar beide viel Sinn für Humor haben. Der Bildhauer, Grafiker und Maler Ronald Tolmann hat radiert, und die Illustratorin Marije Tolmann hat illustriert - mit einem faszinierenden Ergebnis.

Dieses "Lieblingsbuch" wurde übrigens für den Jugendliteraturpreis nominiert. Wir hätten es sehr gerne herausgegeben!

Donnerstag, 8. März 2012

In Ali Mitgutschs Lieblingsbuch wimmelt es. Wen wundert's?


Als Väter der Wimmelbilder werden Leute wie Hieronymus Bosch und Pieter Brueghel d. Ä. genannt. Vater der Wimmelbilderbücher ist jedoch – unstrittig – nur einer: Ali Mitgutsch. 

Jeder Leser dieses blogs kennt seine überdimensionalen Bilderbuchgeschichten, die sich bis heute über 4 Millionen mal verkauften und ihm zu Recht den Deutschen Jugendbuchpreis einbrachten. Wimmelbücher, in denen es noch liebenswert politisch unkorrekt zugeht. In denen beim Sonnenbaden auch mal Pobacken zu sehen sind, Piraten sich hemmunglos betrinken und Kinder schon mal frech in die Ecke pinkeln.

Ali Mitgutsch ist sehr beeindruckt von Hans-Joachim Gelbergs Buch „Wo kommen die Worte her?“.


Er meint dazu:
„In diesem Buch hat Hans-Joachim Gelberg eine Reihe von neuen, poetischen mit warmem Humor geschriebenen Gedichten und eindrucksvolle Illustrationen miteinander versammelt. Man kann diese Arbeit jedem Kinderbuchfreund nur dringend ans Herz legen, weil hier ein repräsentativer Querschnitt aus dem aktuellen Schaffen deutschsprachiger Kinderbuchautoren und Illustratoren so wunderbar und mit viel Hingabe an die Sache, vereint worden ist.“

Leider konnte ich die Abdruckrechte für einzelne Seiten dieses beeindruckenden (Wimmel-)Buches mit Gedichten und Illustrationen von rund 200 AutorInnen und IllustratorInnen nicht erhalten, jedoch findet sich unter

http://www.beltz.de/fileadmin/beltz/leseproben/978-3-407-79986-9.pdf

eine wunderschöne Leseprobe.


Dienstag, 7. Februar 2012

Absolut mysteriös: Shaun Tan und sein Lieblingskinderbuch!

Shaun Tan hier großartig vorzustellen, wäre – glaube ich – fast eine Beleidigung für die Leser. Denn 2007 erhielt er u.a. den World Fantasy Award, 2009 den Deutschen Jugendliteraturpreis, 2010 den Oscar für den besten animierten Kurzfilm und 2011 den Astrid Lindgren-Gedächtnis Preis.
Sein mehrfach ausgezeichnetes Buch "The Arrival" (Ein neues Land) beschreibt die Reise eines Familienvaters in ein unbekanntes Land – und das ohne ein einziges lesbares Wort.

Doch jetzt zum Kommentar von Shaun Tan:

"...Vielen Dank für die Kontaktaufnahme (übrigens: „Die Geschichte vom kleinen Maulwurf, der wissen wollte, wer ihm auf den Kopf gemacht hat“ ist eine meiner Lieblingsgeschichten – es gibt viel zu wenige gute Detektiv- und Rachegeschichten in Bilderbüchern :))
Es ist sehr schwer, Kinderbuchfavoriten zu nennen, aber hier ist das Buch, das mir sofort dazu einfiel:


"The Mysteries of Harris Burdick" von Chris Van Allsburg.

Nicht zuletzt weil ich denke, dass dieses Buch einen großen Einfluss auf mich als jungen Bilderbuchillustrator hatte. Besonders die Feststellung, dass ein Bilderbuch jede Freiheit besitzt, sich
unkonventioneller Erzählformen zu bedienen. Das Buch besteht aus einer Reihe sehr atmosphärischer Schwarz-Weiß-Zeichnungen. Jede einzelne zeigt ein merkwürdiges Ereignis, zu dem der Text zu fehlen scheint. Alles, was zu lesen ist sind Textfragmente und Titel, die die jeweiligen Bilder auch nicht eindeutig erklären. Es gibt weder ein Leitthema, noch eine Storyline, noch etwas, was dem Leser sonst weiterhelfen könnte.

Aber genau das ist es, was für mich wirklich großartige Illustration ausmacht: interessante Fragmente, Vignetten und Momentaufnahmen, die den Rahmen der Seite sprengen.


(Da ich noch auf Abbildungsrechte für das Buch warte, Sie sich jedoch auch so eine Vorstellung
über den Aufbau machen können, hier der Text zu diesem Titelbild, das gleichzeitig als Innenseite vorkommt:
UNTER DEM TEPPICH. Zwei Wochen waren vergangen and es geschah erneut.)


...ich mag, dass das Buch weder einen eigentlichen Anfang noch ein eigentliches Ende hat, kein Erzähltempo, keinen Spannungsbogen... Und das erinnert mich ständig daran, dass Bücher nicht linear sein müssen oder gar eine Sinn ergeben müssen. Sie müssen nur interessant sein und offen für breite Interpretation.

Ich bin nicht sicher, ob dieses Buch noch im Handel ist (ist es, d. Red.). Ich weiß jedoch, dass es oft als Anregung für kreatives Schreiben verwendet wird.

Beste Grüße
Shaun Tan."

 























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