Birte Müller lernte ich kennen, als sie noch in Hamburg bei Rüdiger Stoye Buchillustration studierte. Inzwischen hat sie über 20 Bildbücher veröffentlicht. Darunter so wunderschöne wie „Auf Wiedersehen, Oma“, so skurrile wie „Fritz Frosch“ und ein so persönliches und beeindruckendes wie „Planet Willi“. Das Buch, das die Geschichte ihres Sohnes Willi erzählt, der mit Down Syndrom zur Welt kam. Ein Buch, das ich Ihnen unbedingt ans Herz legen möchte.
Nun aber zu Birtes Favoriten, bzw. zu Willis Buchtipp, wie sie schreibt:
"Ich finde es furchtbar, wenn Lektoren in der Diskussion über Buchprojekte als Argumentation die Vorlieben ihrer eigenen Kinder nutzen. „Also seit ich selber ein Kind habe“ fangen die Sätze an und enden in der Regel damit, dass sie jetzt genau wissen, was Kinder mögen, nämlich Fröhliches, Niedliches, und natürlich angeblich immer gut Erkennbares und Bekanntes.
Ein absolutes Lieblingsbuch meiner Kindheit (welches allen dieser Eigenschaften widerspricht) war das „Apfelmännchen“ von Janosch. Wenn ich es meiner Tochter heute vorlese, kommen mir selber oft die Tränen, so traurig ist die Geschichte von dem Mann, der sich nichts mehr wünscht im Leben, als dass auch an seinem Baum einmal ein Apfel wachsen sollte. Die kompromisslosen und malerischen Bilder sind so beeindruckend - Perspektive spielt keine Rolle und wirklich nichts, aber auch gar nichts in ihnen ist niedlich. Doch heute erscheint mir die Geschichte nicht mehr so rund, wie ich sie als Kind vielleicht empfunden habe. Ich habe das Gefühl, dass sie enden müsste an der Stelle wo das Apfelmännchen tieftraurig vom Markt zurückgekehrt ist: verlacht und verspottet, mit seinem einen, riesengroßen Apfel, der ENDLICH an seinem Baum gewachsen war und den ihm niemand abkaufen wollte. Vielleicht saß auch Janosch damals eine Lektorin gegenüber die sagte, dass sie, seit sie selber Kinder hat, weiß, dass Geschichten immer glücklich enden müssten. Ich dachte, dass ich eine sehr lebhafte Erinnerung an dieses Buch hatte, aber als ich es neulich zum ersten mal vorlas, merkte ich, dass ich es genau nur bis an die Stelle erinnerte, bis zu der ich das Buch bis heute unschlagbar gut finde. Das Happy End hatte ich einfach vergessen.
Meine eigenen Kinder haben meinen Buchgeschmack nicht eigentlich verändert, auch wenn ich zugegebenermaßen für meine dreijährige Tochter Olivia das eine oder andere Buch mit Elfen oder Feen drin anschaffe. Bücher für meinen fünfjährigen Sohn Willi zu finden, ist da schon schwieriger. Der „normale“ Junge in seinem Alter müsste wohl Piratenbücher oder ähnliches mögen, aber Willi schmeißt mir so etwas schlichtweg an den Kopf. Willi hat einen sehr erlesenen Geschmack, pro Jahr gelingt es mir höchstens zwei bis drei neue Bücher einzuführen, welche dann aber geradezu exzessiv vorgelesen werden müssen. Tatsächlich könnte Willi als eine Art Bestselleragent fungieren, sind es doch z.B. die „Raupe Nimmersatt“ und „Vom kleinen Maulwurf, der wissen wollte, wer ihm auf den Kopf gemacht hat“, die zu seiner höchst minimalistischen Auswahl gehören. Aber auch der eine oder andere Jugendliteraturpreisträger war schon unter seinen Favoriten (allerdings ist auch von Nelson ein Buch dabei, das Plastikräder hat und eines von Xenos, das grässliche Musik macht, aber ich finde, das gilt beides nicht wirklich).
Das erste Buch überhaupt, an dem Willi Interesse hatte, war „Eins Zwei Drei Tier“ von Nadja Budde. Willi war damals knapp drei Jahre alt. Ich war mehr als glücklich mit seiner Wahl (ich liebe dieses Buch), auch wenn ich es zuerst recht erstaunlich fand, denn ich ging davon aus, dass Willi den Inhalt des Buches nicht verstand und wahrscheinlich auch mit dem Ablesen der meisten Bilder überfordert war. Es muss der geniale Rhythmus des Buches sein, der Willi in den Bann gezogen hat. Ich weiß nicht wie viele hundert Male ich das Buch vorgelesen habe und es ist mir kein einziges Mal auf die Nerven gegangen! Bald mussten wir es natürlich auch nicht mehr lesen - wir sprachen es auswendig. Willis kleine Schwester sagte es mit 1 ½ Jahren auswendig auf und in unserem Leben hatte es einen so festen Platz eingenommen, dass ich meinen Mann im Auto eigentlich nicht mehr fragen konnte: „Nach links?“ Ohne die Antwort zu bekommen „Nach rechts, verkehrt, Pferd!“ (Über den Witz mit dem Schakal, der bei „verkehrt“ auf dem Kopf steht, hat Willi übrigens erst zwei Jahre später angefangen zu lachen, das aber dann so maßlos, dass er die vorigen zwei Jahre, die er den Witz noch nicht verstanden hatte, schon locker nachgeholt hat.)
Der absolut perfekte Rhythmus der Reime, mit immer wieder wechselndem Tempo, in Kombination mit dem unvergleichlichen Charme und Witz der Bilder, machen dieses Buch zu Willis absolutem Einschlaf-Party-Buch! Willi kennt die meisten Tiere in dem Buch nicht und die, die er kennt, erkennt er vielleicht nicht einmal, aber das spielt keine Rolle! Ich finde ich habe wirklich großes Glück, mit Willis Geschmack, denn mit „Flosse, Fell und Federbett“ haben wir dasselbe Lieblingsbuch! Ohne mit der Wimper zu zucken lese ich es mit Vergnügen fünf Mal hintereinander vor und wenn wir dann zusammen mit den „Pfauen kauen“ und mit den „Forellen bellen“, dann amüsiere ich mich bestimmt fast so ausgiebig wie Willi. Nur gut, dass das Buch eine Pappe ist, denn sonst wären wir bestimmt schon beim zehnten Exemplar… mittlerweile wirkt das Buch wie laminiert, so viel Klebeband klebt über allen Seiten. Wir lieben dieses Buch so sehr, dass wir sogar mit „Eulen heulen bis früh um Acht. Oder etwa nicht? Dann lösch das Licht!“ Danke Nadia Budde für dieses tolle Buch!"
© Peter Hammer Verlag