Donnerstag, 28. Juni 2012

Gerda Raidt über die suggestive Kraft von Bildern


Vor 4 Wochen hat Isabel Kreitz hier ihr Lieblingskinderbuch vorgestellt, jetzt wurde sie auf dem Comic-Salon Erlangen als beste deutschsprachige Comic-Künstlerin ausgezeichnet! Ganz herzlichen Glückwunsch! 

Frau Kreitz war es auch, die auf Gerda Raidt aufmerksam machte. Und zwar vor allem auf deren Buch „Die Straße“. Aber nicht nur. Isabel Kreitz: „Seit langem bin ich ein Fan von Gerda Raidts Arbeiten, besonders ihre Illustrationen von Irmgard Keuns "Das kunstseidene Mädchen" finde ich sehr gelungen! Völlig begeistert bin ich von ihrer Reihe "Fünf Hefte", in denen sie Schlagertexte der 40er Jahre illustriert hat. “

Obwohl das nicht gerade Kinderbücher sind, ist es Grund genug, hier Gerda Raidt zu Wort kommen zu lassen: „Ein gutes Buch klappt man auf und reist ganz woanders hin. Man sieht die Welt mit den Augen eines anderen, erlebt dessen Erlebnisse mit und trägt sie dann mitunter ein Leben lang in sich herum. In so ein schmales Bilderbuch passt eine ganze Welt. Und das alles 2D und ohne erforderliche technische Hilfsmittel.

Ich will mich hier aber auf einen Aspekt konzentrieren, der für mich gute Bücher zu Lieblingsbüchern werden lässt. Ich nenne es hier mal die suggestive Kraft von Bildern. Damit meine ich eine unbeschreibliche Beseeltheit, die aus ein paar hingeworfenen Strichen und Farbtupfern auf rätselhafte Weise eine kleine Welt entstehen lassen kann. Manchmal kann man diese Welt dann beinahe fühlen und riechen. Das ist für mich das Tolle und der eigentliche Zauber der Sache. Es gibt Bilderbücher, die sind derart eindringlich, dass man manchmal einen realen Moment erlebt und denkt "Jetzt ist es genauso wie in dem Buch."

Dieser Zauber lässt sich schwer erklären. Ob ein Bild diesen Sog entfaltet, ist jedenfalls absolut unabhängig vom Realismusgrad. Seele kann auch ein ganz flüchtiges oder gar unbeholfenes Machwerk besitzen. Aber auch ein solches, an dem lange und gewerkelt wurde. Lockerheit scheint mir auch keine unbedingte Voraussetzung zu sein.

Manchmal seh ich Bilder, die eigentlich nur auf andere Bilder verweisen. Etablierte Kürzel für, "Baum" oder "Blume" oder "Kuh", bloße Formeln, die letztlich nichts aussagen. Oder das Handwerkliche drängt sich sehr an die Oberfläche. Oder Darstellungsmoden. Manchmal aber, in Glücksfällen, tritt das Bild als Machwerk völlig in den Hintergrund. Man vergisst beinahe, dass es sich um ein Bild handelt und nimmt einfach teil an dem was der Zeichner uns mitteilt.

Was ist das Geheimnis? Ich denke, es ist die echte Empfindung die dahinter steht. Eine wirkliche Beobachtung, gesammelte Erfahrung, Herzenswärme, eine wirklich gelebte Emotion, vor allem wohl die Emotion, und der Wille, das dem Betrachter mitzuteilen, eine Geschichte zu erzählen. Unter Abschaltung möglichst aller Eitelkeit und aller Routine. Als Zeichner sitzt man also am Schreibtisch, aber innerlich befindet man sich auf der Sommerwiese, von der man erzählen will. Ist die Wiese nicht ehrlich empfunden, schimmert am Ende im Bild immer der Schreibtisch durch.


Einer meiner Lieblinge in diesem Sinne:




Alois Carigiet
Flurina und das Wildvöglein, Orell Füssli

In den Bildern dieses Buchs kann man richtig wohnen.
Klug ist auch die Struktur: die kleinen Vignetten illustrieren ganz direkt, was im Text erzählt wird, dann kommt das Ganze in einem großen Bild zur Ruhe. Eigentlich wie eine Filmsequenz.
Das Buch ist von 1952, was man den Bildern kaum anmerkt. Der gereimte Text wirkt auf mich leider etwas altbacken und ist mit seinem schweizer Zungenschlag für nördliche Ohren etwas zäh. Aber die Bilder wiegen alles auf. (Ich neige ein bisschen dazu, dem Text alles zu verzeihen, wenn die Bilder toll sind.)



Copyright © 1995 Orell Füssli Verlag AG, Zürich

 























Counter