"Wer in die Fußstapfen eines anderen tritt, kann ihn nicht überholen", sagt der sog. Volksmund. Philip Waechter trat nicht in die Fußstapfen seines genialen Vaters (F.K. Waechter), er hat – auf ähnlichem Terrain – einen absolut eigenen, erfolgreichen Weg eingeschlagen. Hier sein Lieblingskinderbuch:
"Mein liebstes Kinderbuch ist zur Zeit Die Torte ist weg von Thé Tjong-Kling aus dem Moritz Verlag. Ein Bilderbuch, großformatig und ganz ohne Text, bei dem ich sofort dachte: ach solch ein Buch hätte ich auch gerne gemacht.
Zu allererst gefallen mir die Bilder. Einfach anmutende, ganz lockere und präzise Tuschezeichnungen mit Aquarellfarben koloriert. Tolle, verrückte Figuren (z.B. Chamäleons, die ich so noch nie gesehen habe) in einer ebenso seltsamen Landschaft.
Was passiert? Zwei Ratten klauen der Hundefamilie eine Torte vom gerade gedeckten Gartentisch, versuchen zu flüchten und beziehen am Ende eine verdiente Tracht Prügel. Es passiert aber noch viel, viel mehr. Mit jedem Mal Angucken entdeckt man weitere Geschichten, erkennt Zusammenhänge und ist überrascht darüber, wer alles mit wem zu tun hat.
Einerseits funktioniert "Die Torte ist weg" wie ein Wimmelbuch. Man kann viel Zeit mit dem Buch verbringen, lange, lange gucken und Dinge entdecken, andererseits ist es trotzdem angenehm übersichtlich, grafisch klar, nicht allzu wimmelig und wuselig.
Diese Buch hat alles, was man sich wünscht Dramatik, Tempo, Romantik, Moral und natürlich die Botschaft, dass man Hunden keine Torte klauen darf.
Gefragt nach dem Lieblingbuch meiner Kindheit, fällt mir sofort "Opa Huckes Mitmachkabinett" von meinem Vater Fritz ein. Es ist ein großartiges Buch, voller Leben, gleichzeitig ein Bilder-, Lese-, Bastel-, Comic-, Spiel- und Rätselbuch, alles in einem. Ich habe das Gefühl einen ganzen Lebensabschnitt mit diesem Buch verbracht zu haben, ohne dass es mir langweilig geworden wäre.
Meine Liebe zu diesem Buch ist aber sicherlich auch darin begründet, dass ich bei keinem anderen Buch meines Vaters in solch einem Maße das Gefühl hatte mitgewirkt zu haben, wie hier. Eigentlich ist "Opa Hucke" nicht nur das Buch meines Vaters, sondern vielmehr auch das meiner Brüder und mir. Ich kann mich erinnern, dass wir vieles, was es in diesem Buch gibt, gemeinsam ausprobiert, besprochen und erfunden haben. Auch habe ich während des Entstehens viele Stunden am Schreibtisch meine Vaters verbracht und habe einfach nur zugeguckt, fasziniert, wie mein Vater zeichnen konnte.
Ich erinnere mich aber auch daran, dass diese Buch ein Werk mit einigen Pannen war. Am Ende des Buches gab es Seiten mit Erklärungen, Anmerkungen, und Lösungen, die die verschiedenen Geschichten, Aufgaben ergänzten oder erklärten. Diese Seiten mußten immer wieder umgeschrieben, ergänzt und verbessert werden, weil manche Dinge eben nicht richtig funktionierten oder in Ihrer Beschreibung nicht eindeutig waren.
Z.B. gab es eine Seite, auf der ein fluchender Mann abgebildet war, der sich wahnsinnig ärgert. Aufgabe war es eine kleine Beere zwischen die Seite zu legen, und das Buch schwungvoll zu schließen und mit der eingeklemmten und platzenden Beere einen Fleck (auf die Weste des Mannes) zu machen, der dann Auslöser für den Ärger gewesen sein soll.
Mein Vater war völlig überascht davon, welch einen Riesenfleck eine kleine Johannisbeere in einem zugeklappten Buch erzeugt und dachte mit Grauen an die Beschwerdebriefe der Eltern, deren Kinder diesen Fleck mit einer großen Erdbeere zu machen versuchten. Ich hatte an solchen Dingen natürlich Riesenspaß.
"Opa Huckes Mittmachkabinett" gibt es leider schon seit vielen Jahren nicht mehr zu kaufen. Als ich beim Verlag nachfragte, warum man dieses Buch nicht noch einmal auflegen wolle, sagte man mir, dass dies ein typisches Siebzigerjahre-Buch sei, dass man so heute nicht mehr machen könne. So richtig verstanden habe ich das nicht. Aber um das zu beurteilen, fehlt mir sowieso die Objektivität. Schade ist es allemal."
Philip Waechter
Samstag, 15. März 2008
Philip Waechter, die geklaute Torte und ein Opa, den es leider nicht mehr zu kaufen gibt.
Eingestellt von Werner Holzwarth um 11:04
Labels: Lieblingsbuch, Philip Waechter, Torte
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