Montag, 24. September 2012

Kathrin Schärer über ihr zweitliebstes Kinderbuch


Kathrin Schärer ist eine der erfolgreichsten (wenn nicht die erfolgreichste) Schweizer Kinderbuchillustratorinnen (einige ihrer Bücher hat sie auch selbst geschrieben, die meisten entstanden in Zusammenarbeit mit Lorenz Pauli). Ihr letzter großer Erfolg liegt nur wenige Monate zurück: da wurde sie für den Hans-Christian-Andersen-Preis nominiert. Vorher gab es u. a. eine Nominierung für den Deutschen Jugendliteraturpreis und 2011 den Schweizer Kinder- und Jugendmedienpreis. 

Und dort hieß es in der Laudatio treffend:
„...Kathrin Schärers mit Bleistift, Farbkreide und Aquarell detailreich ausgeführte Tiere sind anders. Sie haben menschliche Züge. Gut, das verlangt die Konvention. Aber bei Kathrin Schärer ist die auf Tiere applizierte menschliche Mimik und Gestik nie stereotyp; im Gegenteil, sie ist sogar besonders ausdrucksstark, ja regelrecht theatralisch, als stammten sie aus einem Handbuch für Tier-Schauspielkunde...“

Hier Kathrin Schärer über ihr Lieblingskinderbuch:

"Ich habe es bei Bilderbüchern wie mit Filmen, Musik, Bildern, Romanen: je nach Technik, Thema, Stimmung, Lebensphase, kann ich mich für ein Werk begeistern.
Wenn ich von Kindern nach meinem Lieblingsbilderbuch gefragt werde, nenne ich Ihren und Wolf Erlbruchs "Maulwurf". Da ich aber in ihrem blog keine Laudatio auf Ihr eigenes Buch halten kann (obschon es immer noch eines meiner allerliebsten ist!), weiche ich auf Gabrielle Vincent aus.
„La naissance de célestine“, Casterman und „Un jour, un chien“, Casterman (die deutsche ausgabe "Hundeleben" unter ihrem richtigen Namen Monique Martin im Sauerländer Verlag ist vergriffen).
Ich bewundere Gabrielle Vincents lockeren, frechen und unglaublich ausdrucksstarken Zeichenstrich.
„La naissance“ ist mit Feder und Pinsel gezeichnet, „Un jour, un chien“ mit Kreide oder Bleistift, beide braun gedruckt.



Egal welche Technik, Gabrielle Vincent fängt das Wesentliche ein, lässt vieles offen, was auch in düsteren Bildern eine wunderbare Leichtigkeit und Dynamik bewirkt.
Sie arbeitet sehr filmisch. Nimmt sich Zeit und Raum für Szenen, fährt „mit der Kamera“ langsam an die Figuren ran und erzeugt damit eine spannende Dramaturgie.
Sie schafft es, nur mittels Zeichenstrich Gefühle darzustellen, die einen berühren und sofort ins Buch eintauchen lassen. „La naissance“ mit sehr wenig Text, „un jour un chien“ ganz ohne Worte. In beiden Büchern lässt sie Tiere urmenschlichste Themen erzählen wie Vertrauen, jemanden umsorgen, Angst, Verlassensein.


Ihre beiden Figuren Ernest (ein grosser Bär) und Célestine (eine kleine Maus) eignen sich wunderbar für die Kinderbuchthemen Eltern/Kind, groß/klein.
Mich beeindruckt auch, wie sie Figuren und ihre Umgebung auf die Seite setzt. Oft deutet sie den Raum nur ganz leicht an, arbeitet einen Hintergrund nie ganz aus. Das verleiht ihren Zeichnungen den spontanen Skizzencharakter, den die meisten Bilderbuchschaffenden ansatzweise aus den eigenen Storyboards kennen und deren Lockerheit man dann im fertigen, farbig umgesetzten Buch nachtrauert. Gabrielle Vincent bewahrt sich diese bewegte Leichtigkeit, die ich so mag.
C'est ça."

Freitag, 20. Juli 2012

Sabine Wilharm, ist das nicht die, die Harry Potter… Richtig. Aber bei weitem nicht nur!


Ja, sie ist die Frau, die die Harry Potter-Bände illustrierte. Aber darüber hinaus auch jede Menge anderer schöner und erfolgreicher Kinder- und Jugendbücher, Bilderbücher, Erstleserbücher und Romane. Außerdem illustriert sie für Stern und Spiegel und hat eine beeindruckende Ausstellungsliste. 

"Eben ist mir eingefallen, ich möchte doch ein anderes Buch vorstellen.
Eigentlich sollte es 'Der Besuch vom kleinen Tod' von Kitty Crowther sein, das ich nun trotzdem schnell allen Lesern ans Herz lege, die die Neigung kennen, auch mit den unwahrscheinlichsten Formen des Seins Mitleid zu haben und schöne, eigenartige Zeichnungen zu genießen.

Ich habe mich anders entschieden, weil mir ein kleines Softcover-Buch aus dem Mami-Verlag wieder in die Hand kam und das stelle ich nun auch vor Sie hin, zeige mit dem Finger drauf und sage: Kaufen! 

Es ist 13x 18 cm gross und hat keinen extra Rücken, sondern in der Mitte geknickte Seiten, die mit Heftklammern zusammengehalten werden, so wie ich es als Kind gemacht habe, als Verlegerin von Einzelstücken. Aber es wirkt trotzdem kostbar und edel, das liegt an dem schönen, starken Papier, das man gern anfasst, und an dem intensiven Farbklang des Covers: ein kräftiges Rot mit Weiss und Hellgelb auf einem satten schwarzen Hintergrund - und das Bild, das darauf zu sehen ist, ist anziehend und geheimnisvoll.
'Die hollandische Schachtel' ist von Anke Feuchtenberger erzählt und gezeichnet und dann im Mami-Verlag herausgegeben (www.mamiverlag.de). Das ist ein kleiner Verlag, den sie selbst zusammen mit Stefano Ricci gegründet hat und der in unregelmässiger Folge sorgfältig gemachte Bücher im Kunst-Comicbereich herausgibt. 
Anke Feuchtenberger ist eine ganz und gar eigene, eigenartige und immer überraschende Zeichnerin und Erzählerin in diesem Grenzbereich zwischen freier Kunst und Comic, eine Künstlerin, die Moden schafft, nicht ihnen folgt. Sie hat deutlich spürbar einen starken inneren Grund für ihre Zeichnungen und folgt beim Arbeiten Fährten und Gesetzen, die zu rätselhaften, immer in einer Tiefe verankerten Erzählungen führen. Ich ziehe absolut den Hut vor ihr, falls das etwas bedeutet und wünschte, dass viele gute Augen ihre Bilder sehen und schätzen. 

Dieses Buch entwickelt aus einem fast nüchtern-spröden Anfang einen zarten, zähen Sog, dem ich mich auch nach mehrmaligem Lesen nicht entziehen kann. Es ist ein Hundebuch ohne Zucker, ohne Parabelgedanken (im Sinne von: das Tier steht für den Menschen und nun wird uns etwas gelernt) und ohne den Versuch, dem Leben eine uns gewohnte Dramaturgie aufzuzwingen. Das, was erzählt wird, sind Ausschnitte aus Yettes Leben und ich schlucke (zum Beispiel beim wichtigsten Ereignis) und lache (zum Beispiel beim nächtlichen Wandern von einem Korb in den anderen) und bin die ganze Zeit vollkommen glücklich und dann, wenn die letzte Seite kommt, wache ich widerwillig auf, weil das Buch zu Ende ist, aber die Geschichte doch weitergeht und ich mehr von dem haben möchte, das so eng am Leben erzählt ist, dass ich mit hineingeraten durfte. 

Kann man das so sagen? Wahrscheinlich nicht – ich merke eh die ganze Zeit, dass der Umgang mit Worten nicht mein Metier ist, denn ich kann das, was mich an dem Buch begeistert, nicht ausdrücken, es klingt immer falsch. 

Ich hoffe, die Bildbeispiele in diesem Text wecken Lust, das Buch kennenzulernen."

Donnerstag, 28. Juni 2012

Gerda Raidt über die suggestive Kraft von Bildern


Vor 4 Wochen hat Isabel Kreitz hier ihr Lieblingskinderbuch vorgestellt, jetzt wurde sie auf dem Comic-Salon Erlangen als beste deutschsprachige Comic-Künstlerin ausgezeichnet! Ganz herzlichen Glückwunsch! 

Frau Kreitz war es auch, die auf Gerda Raidt aufmerksam machte. Und zwar vor allem auf deren Buch „Die Straße“. Aber nicht nur. Isabel Kreitz: „Seit langem bin ich ein Fan von Gerda Raidts Arbeiten, besonders ihre Illustrationen von Irmgard Keuns "Das kunstseidene Mädchen" finde ich sehr gelungen! Völlig begeistert bin ich von ihrer Reihe "Fünf Hefte", in denen sie Schlagertexte der 40er Jahre illustriert hat. “

Obwohl das nicht gerade Kinderbücher sind, ist es Grund genug, hier Gerda Raidt zu Wort kommen zu lassen: „Ein gutes Buch klappt man auf und reist ganz woanders hin. Man sieht die Welt mit den Augen eines anderen, erlebt dessen Erlebnisse mit und trägt sie dann mitunter ein Leben lang in sich herum. In so ein schmales Bilderbuch passt eine ganze Welt. Und das alles 2D und ohne erforderliche technische Hilfsmittel.

Ich will mich hier aber auf einen Aspekt konzentrieren, der für mich gute Bücher zu Lieblingsbüchern werden lässt. Ich nenne es hier mal die suggestive Kraft von Bildern. Damit meine ich eine unbeschreibliche Beseeltheit, die aus ein paar hingeworfenen Strichen und Farbtupfern auf rätselhafte Weise eine kleine Welt entstehen lassen kann. Manchmal kann man diese Welt dann beinahe fühlen und riechen. Das ist für mich das Tolle und der eigentliche Zauber der Sache. Es gibt Bilderbücher, die sind derart eindringlich, dass man manchmal einen realen Moment erlebt und denkt "Jetzt ist es genauso wie in dem Buch."

Dieser Zauber lässt sich schwer erklären. Ob ein Bild diesen Sog entfaltet, ist jedenfalls absolut unabhängig vom Realismusgrad. Seele kann auch ein ganz flüchtiges oder gar unbeholfenes Machwerk besitzen. Aber auch ein solches, an dem lange und gewerkelt wurde. Lockerheit scheint mir auch keine unbedingte Voraussetzung zu sein.

Manchmal seh ich Bilder, die eigentlich nur auf andere Bilder verweisen. Etablierte Kürzel für, "Baum" oder "Blume" oder "Kuh", bloße Formeln, die letztlich nichts aussagen. Oder das Handwerkliche drängt sich sehr an die Oberfläche. Oder Darstellungsmoden. Manchmal aber, in Glücksfällen, tritt das Bild als Machwerk völlig in den Hintergrund. Man vergisst beinahe, dass es sich um ein Bild handelt und nimmt einfach teil an dem was der Zeichner uns mitteilt.

Was ist das Geheimnis? Ich denke, es ist die echte Empfindung die dahinter steht. Eine wirkliche Beobachtung, gesammelte Erfahrung, Herzenswärme, eine wirklich gelebte Emotion, vor allem wohl die Emotion, und der Wille, das dem Betrachter mitzuteilen, eine Geschichte zu erzählen. Unter Abschaltung möglichst aller Eitelkeit und aller Routine. Als Zeichner sitzt man also am Schreibtisch, aber innerlich befindet man sich auf der Sommerwiese, von der man erzählen will. Ist die Wiese nicht ehrlich empfunden, schimmert am Ende im Bild immer der Schreibtisch durch.


Einer meiner Lieblinge in diesem Sinne:




Alois Carigiet
Flurina und das Wildvöglein, Orell Füssli

In den Bildern dieses Buchs kann man richtig wohnen.
Klug ist auch die Struktur: die kleinen Vignetten illustrieren ganz direkt, was im Text erzählt wird, dann kommt das Ganze in einem großen Bild zur Ruhe. Eigentlich wie eine Filmsequenz.
Das Buch ist von 1952, was man den Bildern kaum anmerkt. Der gereimte Text wirkt auf mich leider etwas altbacken und ist mit seinem schweizer Zungenschlag für nördliche Ohren etwas zäh. Aber die Bilder wiegen alles auf. (Ich neige ein bisschen dazu, dem Text alles zu verzeihen, wenn die Bilder toll sind.)



Copyright © 1995 Orell Füssli Verlag AG, Zürich

 























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