Dienstag, 11. Dezember 2012

Planet Müller


Birte Müller lernte ich kennen, als sie noch in Hamburg bei Rüdiger Stoye Buchillustration studierte. Inzwischen hat sie über 20 Bildbücher veröffentlicht. Darunter so wunderschöne wie „Auf Wiedersehen, Oma“, so skurrile wie „Fritz Frosch“ und ein so persönliches und beeindruckendes wie „Planet Willi“. Das Buch, das die Geschichte ihres Sohnes Willi erzählt, der mit Down Syndrom zur Welt kam. Ein Buch, das ich Ihnen unbedingt ans Herz legen möchte.

Nun aber zu Birtes Favoriten, bzw. zu Willis Buchtipp, wie sie schreibt:

"Ich finde es furchtbar, wenn Lektoren in der Diskussion über Buchprojekte als Argumentation die Vorlieben ihrer eigenen Kinder nutzen. „Also seit ich selber ein Kind habe“ fangen die Sätze an und enden in der Regel damit, dass sie jetzt genau wissen, was Kinder mögen, nämlich Fröhliches, Niedliches, und natürlich angeblich immer gut Erkennbares und Bekanntes.

Ein absolutes Lieblingsbuch meiner Kindheit (welches allen dieser Eigenschaften widerspricht) war das „Apfelmännchen“ von Janosch. Wenn ich es meiner Tochter heute vorlese, kommen mir selber oft die Tränen, so traurig ist die Geschichte von dem Mann, der sich nichts mehr wünscht im Leben, als dass auch an seinem Baum einmal ein Apfel wachsen sollte. Die kompromisslosen und malerischen Bilder sind so beeindruckend - Perspektive spielt keine Rolle und wirklich nichts, aber auch gar nichts in ihnen ist niedlich. Doch heute erscheint mir die Geschichte nicht mehr so rund, wie ich sie als Kind vielleicht empfunden habe. Ich habe das Gefühl, dass sie enden müsste an der Stelle wo das Apfelmännchen tieftraurig vom Markt zurückgekehrt ist: verlacht und verspottet, mit seinem einen, riesengroßen Apfel, der ENDLICH an seinem Baum gewachsen war und den ihm niemand abkaufen wollte. Vielleicht saß auch Janosch damals eine Lektorin gegenüber die sagte, dass sie, seit sie selber Kinder hat, weiß, dass Geschichten immer glücklich enden müssten. Ich dachte, dass ich eine sehr lebhafte Erinnerung an dieses Buch hatte, aber als ich es neulich zum ersten mal vorlas, merkte ich, dass ich es genau nur bis an die Stelle erinnerte, bis zu der ich das Buch bis heute unschlagbar gut finde. Das Happy End hatte ich einfach vergessen.

Meine eigenen Kinder haben meinen Buchgeschmack nicht eigentlich verändert, auch wenn ich zugegebenermaßen für meine dreijährige Tochter Olivia das eine oder andere Buch mit Elfen oder Feen drin anschaffe. Bücher für meinen fünfjährigen Sohn Willi zu finden, ist da schon schwieriger. Der „normale“ Junge in seinem Alter müsste wohl Piratenbücher oder ähnliches mögen, aber Willi schmeißt mir so etwas schlichtweg an den Kopf. Willi hat einen sehr erlesenen Geschmack, pro Jahr gelingt es mir höchstens zwei bis drei neue Bücher einzuführen, welche dann aber geradezu exzessiv vorgelesen werden müssen. Tatsächlich könnte Willi als eine Art Bestselleragent fungieren, sind es doch z.B. die „Raupe Nimmersatt“ und „Vom kleinen Maulwurf, der wissen wollte, wer ihm auf den Kopf gemacht hat“, die zu seiner höchst minimalistischen Auswahl gehören. Aber auch der eine oder andere Jugendliteraturpreisträger war schon unter seinen Favoriten (allerdings ist auch von Nelson ein Buch dabei, das Plastikräder hat und eines von Xenos, das grässliche Musik macht, aber ich finde, das gilt beides nicht wirklich).


Das erste Buch überhaupt, an dem Willi Interesse hatte, war „Eins Zwei Drei Tier“ von Nadja Budde. Willi war damals knapp drei Jahre alt. Ich war mehr als glücklich mit seiner Wahl (ich liebe dieses Buch), auch wenn ich es zuerst recht erstaunlich fand, denn ich ging davon aus, dass Willi den Inhalt des Buches nicht verstand und wahrscheinlich auch mit dem Ablesen der meisten Bilder überfordert war. Es muss der geniale Rhythmus des Buches sein, der Willi in den Bann gezogen hat. Ich weiß nicht wie viele hundert Male ich das Buch vorgelesen habe und es ist mir kein einziges Mal auf die Nerven gegangen! Bald mussten wir es natürlich auch nicht mehr lesen - wir sprachen es auswendig. Willis kleine Schwester sagte es mit 1 ½ Jahren auswendig auf und in unserem Leben hatte es einen so festen Platz eingenommen, dass ich meinen Mann im Auto eigentlich nicht mehr fragen konnte: „Nach links?“ Ohne die Antwort zu bekommen „Nach rechts, verkehrt, Pferd!“ (Über den Witz mit dem Schakal, der bei „verkehrt“ auf dem Kopf steht, hat Willi übrigens erst zwei Jahre später angefangen zu lachen, das aber dann so maßlos, dass er die vorigen zwei Jahre, die er den Witz noch nicht verstanden hatte, schon locker nachgeholt hat.) 
Wir schafften „Flosse, Fell und Federbett“ von Nadja Budde an und Willi nahm es glücklicherweise in seinen erlauchten Kreis der tolerierten Bücher auf („Trauriger Tiger toastet Tomaten“und „Morgens früh um sechs, kommt die kleine Echs“ haben es leider bis jetzt nicht in seine Hall Of Fame geschafft). „Flosse, Fell und Federbett“ ist der endgültige Beweis dafür, dass ein Kind wahrscheinlich NICHTS von einem Buch verstehen muss, um es von Herzen zu lieben! Willi kennt definitiv die Worte„Motten“ und „trotten“ nicht, noch kann er sich meiner Meinung nach irgendetwas vorstellen unter „mit Schaben traben“ oder „mit Muscheln tuscheln“.



Der absolut perfekte Rhythmus der Reime, mit immer wieder wechselndem Tempo, in Kombination mit dem unvergleichlichen Charme und Witz der Bilder, machen dieses Buch zu Willis absolutem Einschlaf-Party-Buch! Willi kennt die meisten Tiere in dem Buch nicht und die, die er kennt, erkennt er vielleicht nicht einmal, aber das spielt keine Rolle! Ich finde ich habe wirklich großes Glück, mit Willis Geschmack, denn mit „Flosse, Fell und Federbett“ haben wir dasselbe Lieblingsbuch! Ohne mit der Wimper zu zucken lese ich es mit Vergnügen fünf Mal hintereinander vor und wenn wir dann zusammen mit den „Pfauen kauen“ und mit den „Forellen bellen“, dann amüsiere ich mich bestimmt fast so ausgiebig wie Willi. Nur gut, dass das Buch eine Pappe ist, denn sonst wären wir bestimmt schon beim zehnten Exemplar… mittlerweile wirkt das Buch wie laminiert, so viel Klebeband klebt über allen Seiten. Wir lieben dieses Buch so sehr, dass wir sogar mit „Eulen heulen bis früh um Acht. Oder etwa nicht? Dann lösch das Licht!“ Danke Nadia Budde für dieses tolle Buch!"

© Peter Hammer Verlag

Montag, 24. September 2012

Kathrin Schärer über ihr zweitliebstes Kinderbuch


Kathrin Schärer ist eine der erfolgreichsten (wenn nicht die erfolgreichste) Schweizer Kinderbuchillustratorinnen (einige ihrer Bücher hat sie auch selbst geschrieben, die meisten entstanden in Zusammenarbeit mit Lorenz Pauli). Ihr letzter großer Erfolg liegt nur wenige Monate zurück: da wurde sie für den Hans-Christian-Andersen-Preis nominiert. Vorher gab es u. a. eine Nominierung für den Deutschen Jugendliteraturpreis und 2011 den Schweizer Kinder- und Jugendmedienpreis. 

Und dort hieß es in der Laudatio treffend:
„...Kathrin Schärers mit Bleistift, Farbkreide und Aquarell detailreich ausgeführte Tiere sind anders. Sie haben menschliche Züge. Gut, das verlangt die Konvention. Aber bei Kathrin Schärer ist die auf Tiere applizierte menschliche Mimik und Gestik nie stereotyp; im Gegenteil, sie ist sogar besonders ausdrucksstark, ja regelrecht theatralisch, als stammten sie aus einem Handbuch für Tier-Schauspielkunde...“

Hier Kathrin Schärer über ihr Lieblingskinderbuch:

"Ich habe es bei Bilderbüchern wie mit Filmen, Musik, Bildern, Romanen: je nach Technik, Thema, Stimmung, Lebensphase, kann ich mich für ein Werk begeistern.
Wenn ich von Kindern nach meinem Lieblingsbilderbuch gefragt werde, nenne ich Ihren und Wolf Erlbruchs "Maulwurf". Da ich aber in ihrem blog keine Laudatio auf Ihr eigenes Buch halten kann (obschon es immer noch eines meiner allerliebsten ist!), weiche ich auf Gabrielle Vincent aus.
„La naissance de célestine“, Casterman und „Un jour, un chien“, Casterman (die deutsche ausgabe "Hundeleben" unter ihrem richtigen Namen Monique Martin im Sauerländer Verlag ist vergriffen).
Ich bewundere Gabrielle Vincents lockeren, frechen und unglaublich ausdrucksstarken Zeichenstrich.
„La naissance“ ist mit Feder und Pinsel gezeichnet, „Un jour, un chien“ mit Kreide oder Bleistift, beide braun gedruckt.



Egal welche Technik, Gabrielle Vincent fängt das Wesentliche ein, lässt vieles offen, was auch in düsteren Bildern eine wunderbare Leichtigkeit und Dynamik bewirkt.
Sie arbeitet sehr filmisch. Nimmt sich Zeit und Raum für Szenen, fährt „mit der Kamera“ langsam an die Figuren ran und erzeugt damit eine spannende Dramaturgie.
Sie schafft es, nur mittels Zeichenstrich Gefühle darzustellen, die einen berühren und sofort ins Buch eintauchen lassen. „La naissance“ mit sehr wenig Text, „un jour un chien“ ganz ohne Worte. In beiden Büchern lässt sie Tiere urmenschlichste Themen erzählen wie Vertrauen, jemanden umsorgen, Angst, Verlassensein.


Ihre beiden Figuren Ernest (ein grosser Bär) und Célestine (eine kleine Maus) eignen sich wunderbar für die Kinderbuchthemen Eltern/Kind, groß/klein.
Mich beeindruckt auch, wie sie Figuren und ihre Umgebung auf die Seite setzt. Oft deutet sie den Raum nur ganz leicht an, arbeitet einen Hintergrund nie ganz aus. Das verleiht ihren Zeichnungen den spontanen Skizzencharakter, den die meisten Bilderbuchschaffenden ansatzweise aus den eigenen Storyboards kennen und deren Lockerheit man dann im fertigen, farbig umgesetzten Buch nachtrauert. Gabrielle Vincent bewahrt sich diese bewegte Leichtigkeit, die ich so mag.
C'est ça."

Freitag, 20. Juli 2012

Sabine Wilharm, ist das nicht die, die Harry Potter… Richtig. Aber bei weitem nicht nur!


Ja, sie ist die Frau, die die Harry Potter-Bände illustrierte. Aber darüber hinaus auch jede Menge anderer schöner und erfolgreicher Kinder- und Jugendbücher, Bilderbücher, Erstleserbücher und Romane. Außerdem illustriert sie für Stern und Spiegel und hat eine beeindruckende Ausstellungsliste. 

"Eben ist mir eingefallen, ich möchte doch ein anderes Buch vorstellen.
Eigentlich sollte es 'Der Besuch vom kleinen Tod' von Kitty Crowther sein, das ich nun trotzdem schnell allen Lesern ans Herz lege, die die Neigung kennen, auch mit den unwahrscheinlichsten Formen des Seins Mitleid zu haben und schöne, eigenartige Zeichnungen zu genießen.

Ich habe mich anders entschieden, weil mir ein kleines Softcover-Buch aus dem Mami-Verlag wieder in die Hand kam und das stelle ich nun auch vor Sie hin, zeige mit dem Finger drauf und sage: Kaufen! 

Es ist 13x 18 cm gross und hat keinen extra Rücken, sondern in der Mitte geknickte Seiten, die mit Heftklammern zusammengehalten werden, so wie ich es als Kind gemacht habe, als Verlegerin von Einzelstücken. Aber es wirkt trotzdem kostbar und edel, das liegt an dem schönen, starken Papier, das man gern anfasst, und an dem intensiven Farbklang des Covers: ein kräftiges Rot mit Weiss und Hellgelb auf einem satten schwarzen Hintergrund - und das Bild, das darauf zu sehen ist, ist anziehend und geheimnisvoll.
'Die hollandische Schachtel' ist von Anke Feuchtenberger erzählt und gezeichnet und dann im Mami-Verlag herausgegeben (www.mamiverlag.de). Das ist ein kleiner Verlag, den sie selbst zusammen mit Stefano Ricci gegründet hat und der in unregelmässiger Folge sorgfältig gemachte Bücher im Kunst-Comicbereich herausgibt. 
Anke Feuchtenberger ist eine ganz und gar eigene, eigenartige und immer überraschende Zeichnerin und Erzählerin in diesem Grenzbereich zwischen freier Kunst und Comic, eine Künstlerin, die Moden schafft, nicht ihnen folgt. Sie hat deutlich spürbar einen starken inneren Grund für ihre Zeichnungen und folgt beim Arbeiten Fährten und Gesetzen, die zu rätselhaften, immer in einer Tiefe verankerten Erzählungen führen. Ich ziehe absolut den Hut vor ihr, falls das etwas bedeutet und wünschte, dass viele gute Augen ihre Bilder sehen und schätzen. 

Dieses Buch entwickelt aus einem fast nüchtern-spröden Anfang einen zarten, zähen Sog, dem ich mich auch nach mehrmaligem Lesen nicht entziehen kann. Es ist ein Hundebuch ohne Zucker, ohne Parabelgedanken (im Sinne von: das Tier steht für den Menschen und nun wird uns etwas gelernt) und ohne den Versuch, dem Leben eine uns gewohnte Dramaturgie aufzuzwingen. Das, was erzählt wird, sind Ausschnitte aus Yettes Leben und ich schlucke (zum Beispiel beim wichtigsten Ereignis) und lache (zum Beispiel beim nächtlichen Wandern von einem Korb in den anderen) und bin die ganze Zeit vollkommen glücklich und dann, wenn die letzte Seite kommt, wache ich widerwillig auf, weil das Buch zu Ende ist, aber die Geschichte doch weitergeht und ich mehr von dem haben möchte, das so eng am Leben erzählt ist, dass ich mit hineingeraten durfte. 

Kann man das so sagen? Wahrscheinlich nicht – ich merke eh die ganze Zeit, dass der Umgang mit Worten nicht mein Metier ist, denn ich kann das, was mich an dem Buch begeistert, nicht ausdrücken, es klingt immer falsch. 

Ich hoffe, die Bildbeispiele in diesem Text wecken Lust, das Buch kennenzulernen."

 























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