Montag, 11. Februar 2013

Daniela Kulot über einen bildschönen Erstling.


In ihren Büchern verlieben sich Krokodile in Giraffen, popeln Elefanten äußerst gerne in der Nase und finden Marsmädchen ihre Eltern mehr als peinlich. Und ihr neuestes Buch - nun, das ist zum Einschlafen :) 

Daniela Kulots, zum Teil recht schräge Bücher machen Kindern (und auch Erwachsenen) viel Spaß und sind deshalb national und international sehr erfolgreich. Die meisten davon hat sie übrigens nicht nur illustriert, sondern auch selbst geschrieben.

Und das schreibt sie über ihr Lieblingsbuch:

„Nun finde ich es sehr schwer, ein Lieblingsbuch zu nennen, es gibt so viele wunderbare Bücher. Zudem ändern sich die Lieblinge bei mir auch im Laufe der Jahre.
Deshalb habe ich ein Bilderbuch ausgewählt, das mir neulich in einer Buchhandlung ins Auge gestochen ist, was ja nicht so oft passiert, von einer mir bis dato völlig unbekannten Autorin. Klar auch, denn das Buch ist ihr Erstling: "Das Mäusehaus" von Karina Schaapman, fotografiert von Ton Bouwer, erschienen im Ellermann Verlag, 2012.


Warum ist es mir aufgefallen? Vielleicht aus dem ganz einfachen Grund, weil auf dem Cover ein Foto zu sehen ist und keine Illustration. Fotobilderbücher gab es in den 70er Jahren häufiger, und ich habe sie als Kind geliebt. Ich erinnere nur an das wunderschöne Buch "mein Esel Benjamin" von Hans Limmer, das vor einigen Jahren bei Sauerländer wieder aufgelegt wurde. 

Und das Mäusehaus? Es ist die fotografierte Geschichte von den Mäusekindern Sam und Julia, die in einem riesigen Haus leben, das aus lauter kleinen Wohnungen, Treppenhäusern, Läden, Werkstätten besteht, also fast ein ganzes Dorf in einem einzigen Haus beherbergt. Und dort laufen sie herum, treffen Diesen und Jenen, erleben Dies und Das. Völlig unspektakulär, was man eben erlebt, wenn man in so einem Haus wohnt.

Aber genau das Unspektakuläre der Geschichten ist es, was einem beim Lesen in das Buch hineinfallen lässt. Die Geschichten bleiben offen, es sind einfach nur kleine Episoden, so wie es nun mal ist, im Kinderalltag: ist das Eine erledigt, macht man eben was Anderes. Wunderbar!

Spektakulär hingegen ist das Haus. Die Autorin, die eigentlich Politikerin ist, und sich bewusst von diesem Politiker-Leben verabschiedet hat, hat in 3-jähriger Arbeit das Mäusehaus gebaut. Angefangen hat es, wie sie sagt, mit einer Steppdecke, dann baute sie ein Bett für die Steppdecke, dann brauchte es für das Bett ein Zimmer, und so ist im Laufe der Jahre ein inzwischen drei Meter hohes Haus entstanden, das aus unzähligen Räumen in Form von Schuhschachteln besteht, die alle liebevollst mit Möbeln und kleinen Gegenständen, vom alten, zusammen gebundenen Zeitungsstapel angefangen, bis zu kleinen Grußkarten, die irgendwo unter dem Bett liegen, Bildern an der Wand, Unterhosen an der Wäscheleine, und, und und, ausgestattet sind. Und darin wohnen viele Mäuse, die aus unterschiedlichsten Strickstoffen zusammengenäht sind.

Ein großes Puppenhaus sozusagen.


Für das Buch wurde das Mäusehaus abfotografiert, mal im Detail, mal in größeren Ansichten. Dazu wurden entsprechend der Geschichte, die Mäusepuppen arrangiert, die sowohl durch die variierbare Körperhaltung als auch durch die geheimnisvolle Beleuchtung unglaublich lebendig werden. 
Nun könnte man sagen: Puppenstubenromantik.
Ja, das ist es. Auch. Und warum auch nicht?
Sogar mir als Erwachsenem geht es so, dass ich insgeheim sage, da möchte ich wohnen, da ist die Welt noch in Ordnung.
Andererseits setzt dieses Buch so viel Fantasie frei. Sofort möchte man sich ran machen, und auch so ein Haus bauen. Und seine eigenen Geschichten erfinden.
Und es ist eben nicht nur Romantik. Die Geschichten, die Sam und Julia erleben, sind Kinderalltag mit Herausforderungen. Da muss schon mal eine wummernde, mit viel zu viel Waschmittel gefüllte Waschmaschine gebändigt werden. Dann ist Julia, die nur ihre Mutter als Familie hat, neidisch auf Sams viele Tanten, zahlreichen Geschwister, die Oma und den tätowierten Opa. Da bekommen Sam und Julia in der Bäckerei nicht die Schokolade, die sie eigentlich haben wollten, denn die kostet 50 Cent, und sie haben nur 25.

Das Buch ist auch für Erwachsene ein großer Genuss, ein Augenschmauß, ein Wohlfühlbuch, ein Immerwiederansehbuch. Wie muss das erst für Kinder sein?

Um all dem noch näher zu kommen, und nachzuvollziehen, was für eine leidenschaftliche Arbeit im Mäusehaus steckt, sollte man sich unbedingt auch die Website mit dem Making-off ansehen.
http://www.ellermann.de/vorlesebuecher-kinderbuecher-bilderbuecher/das-maeusehaus.html

"Das Mäusehaus" © "Ron Bouwer/Rubinstein"

Dienstag, 11. Dezember 2012

Planet Müller


Birte Müller lernte ich kennen, als sie noch in Hamburg bei Rüdiger Stoye Buchillustration studierte. Inzwischen hat sie über 20 Bildbücher veröffentlicht. Darunter so wunderschöne wie „Auf Wiedersehen, Oma“, so skurrile wie „Fritz Frosch“ und ein so persönliches und beeindruckendes wie „Planet Willi“. Das Buch, das die Geschichte ihres Sohnes Willi erzählt, der mit Down Syndrom zur Welt kam. Ein Buch, das ich Ihnen unbedingt ans Herz legen möchte.

Nun aber zu Birtes Favoriten, bzw. zu Willis Buchtipp, wie sie schreibt:

"Ich finde es furchtbar, wenn Lektoren in der Diskussion über Buchprojekte als Argumentation die Vorlieben ihrer eigenen Kinder nutzen. „Also seit ich selber ein Kind habe“ fangen die Sätze an und enden in der Regel damit, dass sie jetzt genau wissen, was Kinder mögen, nämlich Fröhliches, Niedliches, und natürlich angeblich immer gut Erkennbares und Bekanntes.

Ein absolutes Lieblingsbuch meiner Kindheit (welches allen dieser Eigenschaften widerspricht) war das „Apfelmännchen“ von Janosch. Wenn ich es meiner Tochter heute vorlese, kommen mir selber oft die Tränen, so traurig ist die Geschichte von dem Mann, der sich nichts mehr wünscht im Leben, als dass auch an seinem Baum einmal ein Apfel wachsen sollte. Die kompromisslosen und malerischen Bilder sind so beeindruckend - Perspektive spielt keine Rolle und wirklich nichts, aber auch gar nichts in ihnen ist niedlich. Doch heute erscheint mir die Geschichte nicht mehr so rund, wie ich sie als Kind vielleicht empfunden habe. Ich habe das Gefühl, dass sie enden müsste an der Stelle wo das Apfelmännchen tieftraurig vom Markt zurückgekehrt ist: verlacht und verspottet, mit seinem einen, riesengroßen Apfel, der ENDLICH an seinem Baum gewachsen war und den ihm niemand abkaufen wollte. Vielleicht saß auch Janosch damals eine Lektorin gegenüber die sagte, dass sie, seit sie selber Kinder hat, weiß, dass Geschichten immer glücklich enden müssten. Ich dachte, dass ich eine sehr lebhafte Erinnerung an dieses Buch hatte, aber als ich es neulich zum ersten mal vorlas, merkte ich, dass ich es genau nur bis an die Stelle erinnerte, bis zu der ich das Buch bis heute unschlagbar gut finde. Das Happy End hatte ich einfach vergessen.

Meine eigenen Kinder haben meinen Buchgeschmack nicht eigentlich verändert, auch wenn ich zugegebenermaßen für meine dreijährige Tochter Olivia das eine oder andere Buch mit Elfen oder Feen drin anschaffe. Bücher für meinen fünfjährigen Sohn Willi zu finden, ist da schon schwieriger. Der „normale“ Junge in seinem Alter müsste wohl Piratenbücher oder ähnliches mögen, aber Willi schmeißt mir so etwas schlichtweg an den Kopf. Willi hat einen sehr erlesenen Geschmack, pro Jahr gelingt es mir höchstens zwei bis drei neue Bücher einzuführen, welche dann aber geradezu exzessiv vorgelesen werden müssen. Tatsächlich könnte Willi als eine Art Bestselleragent fungieren, sind es doch z.B. die „Raupe Nimmersatt“ und „Vom kleinen Maulwurf, der wissen wollte, wer ihm auf den Kopf gemacht hat“, die zu seiner höchst minimalistischen Auswahl gehören. Aber auch der eine oder andere Jugendliteraturpreisträger war schon unter seinen Favoriten (allerdings ist auch von Nelson ein Buch dabei, das Plastikräder hat und eines von Xenos, das grässliche Musik macht, aber ich finde, das gilt beides nicht wirklich).


Das erste Buch überhaupt, an dem Willi Interesse hatte, war „Eins Zwei Drei Tier“ von Nadja Budde. Willi war damals knapp drei Jahre alt. Ich war mehr als glücklich mit seiner Wahl (ich liebe dieses Buch), auch wenn ich es zuerst recht erstaunlich fand, denn ich ging davon aus, dass Willi den Inhalt des Buches nicht verstand und wahrscheinlich auch mit dem Ablesen der meisten Bilder überfordert war. Es muss der geniale Rhythmus des Buches sein, der Willi in den Bann gezogen hat. Ich weiß nicht wie viele hundert Male ich das Buch vorgelesen habe und es ist mir kein einziges Mal auf die Nerven gegangen! Bald mussten wir es natürlich auch nicht mehr lesen - wir sprachen es auswendig. Willis kleine Schwester sagte es mit 1 ½ Jahren auswendig auf und in unserem Leben hatte es einen so festen Platz eingenommen, dass ich meinen Mann im Auto eigentlich nicht mehr fragen konnte: „Nach links?“ Ohne die Antwort zu bekommen „Nach rechts, verkehrt, Pferd!“ (Über den Witz mit dem Schakal, der bei „verkehrt“ auf dem Kopf steht, hat Willi übrigens erst zwei Jahre später angefangen zu lachen, das aber dann so maßlos, dass er die vorigen zwei Jahre, die er den Witz noch nicht verstanden hatte, schon locker nachgeholt hat.) 
Wir schafften „Flosse, Fell und Federbett“ von Nadja Budde an und Willi nahm es glücklicherweise in seinen erlauchten Kreis der tolerierten Bücher auf („Trauriger Tiger toastet Tomaten“und „Morgens früh um sechs, kommt die kleine Echs“ haben es leider bis jetzt nicht in seine Hall Of Fame geschafft). „Flosse, Fell und Federbett“ ist der endgültige Beweis dafür, dass ein Kind wahrscheinlich NICHTS von einem Buch verstehen muss, um es von Herzen zu lieben! Willi kennt definitiv die Worte„Motten“ und „trotten“ nicht, noch kann er sich meiner Meinung nach irgendetwas vorstellen unter „mit Schaben traben“ oder „mit Muscheln tuscheln“.



Der absolut perfekte Rhythmus der Reime, mit immer wieder wechselndem Tempo, in Kombination mit dem unvergleichlichen Charme und Witz der Bilder, machen dieses Buch zu Willis absolutem Einschlaf-Party-Buch! Willi kennt die meisten Tiere in dem Buch nicht und die, die er kennt, erkennt er vielleicht nicht einmal, aber das spielt keine Rolle! Ich finde ich habe wirklich großes Glück, mit Willis Geschmack, denn mit „Flosse, Fell und Federbett“ haben wir dasselbe Lieblingsbuch! Ohne mit der Wimper zu zucken lese ich es mit Vergnügen fünf Mal hintereinander vor und wenn wir dann zusammen mit den „Pfauen kauen“ und mit den „Forellen bellen“, dann amüsiere ich mich bestimmt fast so ausgiebig wie Willi. Nur gut, dass das Buch eine Pappe ist, denn sonst wären wir bestimmt schon beim zehnten Exemplar… mittlerweile wirkt das Buch wie laminiert, so viel Klebeband klebt über allen Seiten. Wir lieben dieses Buch so sehr, dass wir sogar mit „Eulen heulen bis früh um Acht. Oder etwa nicht? Dann lösch das Licht!“ Danke Nadia Budde für dieses tolle Buch!"

© Peter Hammer Verlag

Montag, 24. September 2012

Kathrin Schärer über ihr zweitliebstes Kinderbuch


Kathrin Schärer ist eine der erfolgreichsten (wenn nicht die erfolgreichste) Schweizer Kinderbuchillustratorinnen (einige ihrer Bücher hat sie auch selbst geschrieben, die meisten entstanden in Zusammenarbeit mit Lorenz Pauli). Ihr letzter großer Erfolg liegt nur wenige Monate zurück: da wurde sie für den Hans-Christian-Andersen-Preis nominiert. Vorher gab es u. a. eine Nominierung für den Deutschen Jugendliteraturpreis und 2011 den Schweizer Kinder- und Jugendmedienpreis. 

Und dort hieß es in der Laudatio treffend:
„...Kathrin Schärers mit Bleistift, Farbkreide und Aquarell detailreich ausgeführte Tiere sind anders. Sie haben menschliche Züge. Gut, das verlangt die Konvention. Aber bei Kathrin Schärer ist die auf Tiere applizierte menschliche Mimik und Gestik nie stereotyp; im Gegenteil, sie ist sogar besonders ausdrucksstark, ja regelrecht theatralisch, als stammten sie aus einem Handbuch für Tier-Schauspielkunde...“

Hier Kathrin Schärer über ihr Lieblingskinderbuch:

"Ich habe es bei Bilderbüchern wie mit Filmen, Musik, Bildern, Romanen: je nach Technik, Thema, Stimmung, Lebensphase, kann ich mich für ein Werk begeistern.
Wenn ich von Kindern nach meinem Lieblingsbilderbuch gefragt werde, nenne ich Ihren und Wolf Erlbruchs "Maulwurf". Da ich aber in ihrem blog keine Laudatio auf Ihr eigenes Buch halten kann (obschon es immer noch eines meiner allerliebsten ist!), weiche ich auf Gabrielle Vincent aus.
„La naissance de célestine“, Casterman und „Un jour, un chien“, Casterman (die deutsche ausgabe "Hundeleben" unter ihrem richtigen Namen Monique Martin im Sauerländer Verlag ist vergriffen).
Ich bewundere Gabrielle Vincents lockeren, frechen und unglaublich ausdrucksstarken Zeichenstrich.
„La naissance“ ist mit Feder und Pinsel gezeichnet, „Un jour, un chien“ mit Kreide oder Bleistift, beide braun gedruckt.



Egal welche Technik, Gabrielle Vincent fängt das Wesentliche ein, lässt vieles offen, was auch in düsteren Bildern eine wunderbare Leichtigkeit und Dynamik bewirkt.
Sie arbeitet sehr filmisch. Nimmt sich Zeit und Raum für Szenen, fährt „mit der Kamera“ langsam an die Figuren ran und erzeugt damit eine spannende Dramaturgie.
Sie schafft es, nur mittels Zeichenstrich Gefühle darzustellen, die einen berühren und sofort ins Buch eintauchen lassen. „La naissance“ mit sehr wenig Text, „un jour un chien“ ganz ohne Worte. In beiden Büchern lässt sie Tiere urmenschlichste Themen erzählen wie Vertrauen, jemanden umsorgen, Angst, Verlassensein.


Ihre beiden Figuren Ernest (ein grosser Bär) und Célestine (eine kleine Maus) eignen sich wunderbar für die Kinderbuchthemen Eltern/Kind, groß/klein.
Mich beeindruckt auch, wie sie Figuren und ihre Umgebung auf die Seite setzt. Oft deutet sie den Raum nur ganz leicht an, arbeitet einen Hintergrund nie ganz aus. Das verleiht ihren Zeichnungen den spontanen Skizzencharakter, den die meisten Bilderbuchschaffenden ansatzweise aus den eigenen Storyboards kennen und deren Lockerheit man dann im fertigen, farbig umgesetzten Buch nachtrauert. Gabrielle Vincent bewahrt sich diese bewegte Leichtigkeit, die ich so mag.
C'est ça."

 























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